Etappe 12: Haut Asco - Refuge de Carozzu

Länge: 7 km
Dauer: 5 Std.
Höhenmeter: h: 700 m, r: 850 m

Schneller, schneller, und noch schneller

Wir werden immer besser. Heute haben wir eine Steigung von 600 sehr steilen Höhenmetern in 1,5 Stunden geschafft. Langsam wird der GR20 zu einfach, denn je mehr man wandert, desto mehr gewöhnt man sich nicht nur an das Wandern mit einem rechtschweren Rucksack, sondern man lernt auch die Tücken und Macken des GR20 kennen. Sicher, der GR20 kann immer wieder mal "sein wahres Gesicht zeigen",wie wir das heute beim Abstieg gemerkt haben, bei dem ich einmal recht heftig (glücklicherwise auf den Hintern) gestürzt bin. Es ist nichts passiert, aber das hat nochmal gezeigt, dass man den GR20 bis zum letzten Meter ernst nehmen muss.

Die Sonne liebt uns beim Wandern, aber nicht beim Rasten an der Refuge. Nachdem wir an der wunderchönen Carrozu-Hütte ankamen, wurde der Himmel schnell bewölkt und hielt sich auch so bis zum Abend.

Wir sind gerade bei der vierten Rotweinflasche angelangt, nicht allein, sondern zu fünft (zwei Franzosen, die wir seit der Tighjettu-Hütte kennen, die aber morgen die Abkürzung über das Forsthaus Bonifatu nehmen).

Wir haben beschlossen, die Tour "ordentlich" zu Ende zu führen, d.h. nicht die Abkürzung über das Forsthaus Bonifatu zu nehmen, über die man bereits morgen in Calenzana wäre, es sei denn, es wird morgen extrem schlechtes Wetter (Sturm, Regen, Blitz, Hagel, Steinschlag, Überflutung, Schneeturm,...)

Die Füße, dein wichtigster Freund

Interessant ist, was man auf so einer Tour wie den GR20 alles über seinen eigenen Körper lernt bzw. wahrnimmt.

So z lernt man sehr schnell, seine Füße vor seinem Gehirn einzustufen an Wichtigkeit. Jeden Abend sollten und müssen die Füße massiert, eingecremt, eben gepflegt werden. Denn Füße, die tagsüber frühn anfangen zu schmerzen nehmen einem jede Freude an der Tour. Nicht nur das, die Tour wird zu einer richtigen Qual. Schultern, Kreuz, Kopf, das ist alles nicht so wichig, wie die Füße!

Jeden Abend müssen die Füße gewaschen,massiert und eingecremt wetden. Wenn man zu Schweissfüßen neigt, sollte man unbedingt Puder (Babypuder) mitnehmen, um die Füße morgens vor der Tour einzupudern.

Man lernt auch ein Gefühlt für den Energieverbrauch des Körpers zu enwickeln. Schnell lernt man, mit welchen Mitteln der Körper einem mitteilt, dass jetzt Energiezufuhr nötig ist.

Dafür bedankt sich der Körper und der Geist bei einer solchen Tour mit einer Klarheit, die ihresgleichen sucht. Es ist nicht nur die klare, frische und saubere Luft. Es ist vielmehr die Kombination von sauberer Luft, mineralreiches Quellwasser, und -last, not last- die Erkenntnis der eigenen körperlichen Grenzen, die einen direkten Draht zum Geist haben.

Ich bin froh, den GR20 zu gehen und in 2 Tagen hoffentlich gesund gegangen zu sein. Einmal im Leben muss man es machen. Als wir vorgestern die 24 Km gelaufen sind, haben wir alle unsere körperlichen Grenzen erreicht. 24 Km klingen natürlich nicht viel auf ebener Strecke, aber mit Rucksäcken mit je 16-18Kg und bergauf,bergab, bergauf, bergab ist es schlimmer als 60Km am Stück laufen. Und, glaubt mir, ich habe 60Km mit Rucksack auf ebener Strecke am Stück gemacht, ich weiss wovon ich rede.

Meine Knie haben sich zum ersten Mal in meinem Leben gemeldet und es klang so wie: "32 Jahre lang keine Belastung, aber jetzt 14 Tage am Stück, was denkst Du Dir eigentlich?"

Was geht in den Köpfen von den anderen vor? Nun, so wie ich es verstanden habe, ähnlich wie bei mir. Es ist schön, die Energiequellen zu spüren, die der Körper hat. Man zieht Energie aus der Luft, aus einem Schluck Quellwasser, aus der Wärme oder der Kälte der Felsen und -vor allen Dingen- aus der Sonne. Kaum ist die Sonne weg, wird es eiskalt in den Bergen und man erfährt es am eigenen Leib, wie wichtig die Sonne ist, denn wenn ich hier "kalt" schreibe, meine ich wirklich kalt. Nicht "kälter", sondern kalt!

Jedesmal, wenn man wieder einen Gipfel erklommen hat -- tja, so muss sich wahrscheinlich jemand fühlen, wenn er Kokain einnimt, denn der Körper sendet jedesmal die Glücksstoffe los... Und es ist ein beeindruckendes Gefühl, nach 600 Höhenmetern zu sitzen und ein Stück Brot, ein Stück Käse, oder ein Stück Saucisson zu essen und ein Schluck Quelwasser zu trinken...

Übrigens sind wir in der Zwischenzeit zu Wasserexperten geworden, wir wissen, welches Wasser schmeckt, welches Energie gibt und welches man getrost vergessen kann.

Nun, nach vier Flaschen geht es langsam ins Bett - vielmehr in die Schlafsäcke. Morgen haben wir 850 Höhenmeter vor uns. Danach geht es nur noch bergab. Noch zwei Tage und es ist vorbei. Bis vor wenigen Tagen haben wir uns darauf gefreut. Jetzt denken wir: "Schade..." und freuen uns trotzdem auf alle unsere Lieben in München und sonstwo.

Leider ist die Batterie des Communicators fast leer, so dass es erstmal keine Fotos für Heute gibt.


Alle Bilder des Tages / All pictures of the day


Korsika, den 12. September 2001

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